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16. Januar 2023

Ein Hitchcock vor Rekordkulisse

Eines lässt sich nach 50 Minuten Nettospielzeit behaupten: Der Spannungsbogen ist bei den MLP Academics Heidelberg nicht mehr zu überbieten. Im achten Heimspiel dieser intensiven Saison 2022/2023 in der easyCredit Basketball Bundesliga kam es nämlich im SNP dome zum vierten Mal zu einem Verlängerungskrimi. Es war am Sonntagnachmittag über 2:20 Stunden in einem messerscharfen Duell mit medi Bayreuth eine unfassbare Korbjagd, die alle Facetten dieser dynamischen Teamsportart zeigte. Vor der Rekordkulisse von 3.783 Zuschauern im SNP dome entwickelte sich beim schlussendlichen 107:101 (20:11, 28:25, 19:20, 16:27, 10:10, 14:8) eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Für die Heidelberger Profis wirkte der Erfolg nach sehr schwierigen Wochen und fünf Niederlagen in Folge wie ein Befreiungsakt. Das Academics-Trainerteam mit Joonas Iisalo, Hylke van der Zweep und Serena Benavente kam noch auf dem Parkett für Jubelfotos zusammen, die Spieler hüpften vor lauter Freude wie kleine Jungs.

„Jeder kann jeden schlagen“, sagte hinterher Heidelbergs Cheftrainer Joonas Iisalo treffend über die Charakteristik des deutschen Oberhauses. Abgesehen von Berlin, Bonn und den FC Bayern, die ihrerseits die Liga dominieren. Doch hinter den großen Drei sind die Leistungsunterschiede in der Tat marginal. Häufig entscheidet die Tagesform – oder eben das Quantum Glück, das man in spielentscheidenden Momenten einfach braucht. Nach dem finalen 107:101 und zwei Verlängerungen im basketballerischen Hitchcock-Thriller sollten die MLP Academics diejenigen sein, die vor der knapp zweiwöchigen Spielpause mit strahlenden Gesichtern den „Hexenkessel“ vor den Toren der Universitätsstadt verlassen durften, während die Oberfranken an dieser Niederlage heftig zu knabbern haben.

Bayreuth hat es zweimal in den eigenen Händen

Eric Washington erzielte in der heutigen Partie 23 Punkte. Foto: Lukas Adler

Gleich zweimal hatten es die Wagnerstädter in den eigenen Händen, das Abstiegsduell für sich zu entscheiden. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit, als die Masell-Schützlinge plötzlich mit 83:80 vorne lagen und Eric Washington mit seinem Dreier aus acht Metern – 8,2 Sekunden vor der Schlusssirene – die Hausherren in die erste Overtime rettete (83:83). Noch krasser sollte es in Verlängerung eins werden. 91:87 und 93:89 führten die Gäste nach zwei Dreiern des starken Litauers Ignas Sargiunas 58,9 Sekunden und 37,1 Sekunden vor Ende dieser fünf Minuten. Es schien alles aus und entschieden zu sein, aber zwei verwandelte Freiwürfe von Tim Coleman und ein freier Korbleger von Washington 1,0 Sekunden vor Ablauf bedeuteten den neuerlichen Gleichstand zum 93:93. Der pure Wahnsinn!

 

Es hielt niemand mehr im Sporttempel am Carl-Friedrich-Gauß-Ring auf den Sitzen. In der zweiten Overtime blieb es bis zum 99:99 eng. Im Endeffekt kippten ein Freiwurf von Vincent Kesteloot, ein wichtiger Steal und Korbleger von Tim Coleman, ein Dreier von Elias Lasisi und zwei verwandelte Freiwürfe von Washington diese Partie zu Gunsten der Heidelberger, die sich kein Drehbuchautor hätte besser ausdenken können. Schon zuvor war jede Menge passiert. Bis zur Halbzeit spielten die Academics fast ausnahmslos eine super Defense, hatten bis auf Sargiunas alle Bayreuther unter Kontrolle und reboundeten mit sehr viel Herzblut. Auch im dritten Viertel hielten sie den Kontrahenten auf Distanz. Umso bitterer, dass im vierten Viertel fast alle Dämme brachen. Bayreuths Topscorer Brandon Childress (37 Punkte insgesamt) lief heiß und heißer. Sowohl seine Dreierquote (8/14) als auch seine Freiwurfquote (9/9) waren Extraklasse. Der Mann mit der Trikotnummer 0 traf so gut wie alles – und hätte den MLP Academics beinahe im Alleingang das Genick gebrochen.

Academics mit toller Moral, Wille und Ausstrahlung

Academics mit toller Moral, Wille und Ausstrahlung. Foto: Lukas Adler

 

Rundum positiv bei den Iisalo-Männern sollten Moral, Wille und Ausstrahlung sein. Vincent Kesteloot (22 Punkte, 11 Rebounds) und Elias Lasisi (18, 9 Rebounds) übernahmen gerade in kritischen Phasen Verantwortung, verzeichneten neben Childress die besten Effizienzwerte und waren die eigentlichen Matchwinner. Das soll die Leistung von Washington gewiss nicht schmälern, aber der Publikumsliebling agierte über weite Strecken etwas unglücklich, ehe der amerikanische Wirbelwind die Defensive der Franken in der Schlussphase knackte und sein Punktekonto auf insgesamt 23 Zähler hochschraubte.

Außerdem: Neuzugang Bennet Hundt feierte ein vielversprechendes Debüt. In den Phasen und seinen 11:49 Minuten Einsatzzeit, in denen er Washington entlastete, bewies der Ex-Oldenburger Übersicht, Ballsicherheit und Korbgefährlichkeit. Darüber hinaus sammelte der Playmaker als smarter Typ beim Interview im Businessclub weitere Sympathiepunkte. Statistisch ist der vierte Heimsieg eine kuriose Sache. Siehe die Wurfbilanz: Während Bayreuth (17/40, 43 Prozent) gegenüber Heidelberg (9/40, 23 Prozent) bei den Dreiern ein klares Plus verzeichnete – eine Hypothek von umgerechnet 24 Zählern -, konnten dies Vargas und Co. durch zwölf mehr Zweier (27/45 gegenüber 15/34) kompensieren. Ganz entscheidend waren indes die Freiwürfe: 26 von 28 (93 Prozent!) versenkten die Blauen, 20 von 26 (77 Prozent) die Weiß-Schwarzen, was unterm Strich das enorm wichtige 107:101 erklärt.

Die „Humba“: „Niki“ Würzner ist ein perfekter Animateur

Die Academics feierten zusammen mit dem Fans nach dem Spiel mit einer „Humba“ den Sieg. Foto: Lukas Adler

Freude und Erleichterung über diesen Erfolg waren bis in die letzten Winkel des SNP domes zu spüren. „Ohne euch hätten wir das nicht geschafft“, rief der verletzte Lokalmatador Niklas Würzner den enthusiastischen Fans per Mikrofon zu, „die Stimmung war heute extrem geil.“ Sogar die traditionelle „Humba“, in den 90er Jahren von den Fußballfans des FSV Mainz 05 „erfunden“, wurde gemeinsam durchgezogen. „Niki“ Würzner hatte das perfekt inszeniert und zelebriert – sein Talent als Animateur der MLP Academics ist beachtlich wie unstrittig. Die Heidelberger und auch dieses tolle Publikum dürfen erstmal feiern. Der fünfte Saisonsieg verschafft dem Team in der Tabelle etwas Luft, ehe es am 28. Januar (Samstag, 18 Uhr) im „dome“ gegen die Würzburg Baskets und am 1. Februar (Mittwoch, 19 Uhr) zu den FRAPORT Skyliners nach „Mainhattan“ geht.

Die nächsten Nervenkitzel sind also bereits vorprogrammiert. Und mal ganz ehrlich: Am Sonntagabend – nach einem aufregenden Academics-Heimspiel – braucht kein Mensch mehr die Reihe „Tatort“ im Fernsehen …

 

Stimmen zum Spiel:

„Als erstes möchte ich danke sagen, an alle Fans heute, es war eine unglaubliche Atmosphäre heute im SNP dome. Jeder, der heute hier war, hat viel geboten bekommen für das Geld. Diese Saison ist die BBL so gemischt. Wenn man auf die Tabelle schaut, gibt es drei Teams, die ganz oben stehen, aber bei den anderen Teams ist es unglaublich ausgeglichen, jeder kann jeden schlagen. Lars hat einen sehr guten Job mit Bayreuth gemacht, wie sie zurückgekommen sind, sie haben niemals den Kopf hängen lassen, dafür meinen großen Respekt. Ich freue mich als Coach über den Sieg, ich weiß allerdings auch, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen. Ich bin sehr froh über den Sieg, und bin sehr stolz auf meine Mannschaft.“ – Joonas Iisalo, Headcoach der MLP Academics

„Glückwunsch an Joonas und die Heidelberger Mannschaft. Es war ein harter Fight, zwölf Runden würde man im Boxen sagen. Wir hatten es in der regulären Spielzeit in der Hand. Wollten foulen, aber haben leider nicht gefoult und dann trifft Washington den Dreier. Am Ende waren wir einfach auch zu wenige, das ging Heidelberg bestimmt nicht anders. Die Kraft lässt nach und sie haben wichtige Shots getroffen. Auf zum nächsten Spiel.“ – Lars Masell, Headcoach von medi Bayreuth

„Die erste Halbzeit war sehr gut von uns, in der zweiten Halbzeit ist uns der eine und andere Lapsus in der Verteidigung unterlaufen. Am Ende haben wir gekämpft und uns den wichtigen Sieg gesichert.“ – Elias Lasisi von den MLP Academics

„Es war unwahrscheinlich hart für uns. Es zählt der Teamerfolg, dass wir als Mannschaft immer zusammengeblieben sind. Ich bin glücklich, zurück zu sein.“ – Bryan Griffin von den MLP Academics

„Nach fünf bitteren Niederlagen ein ganz wichtiger Sieg für uns. Mental war es sehr herausfordernd, die Art und Weise unseres Spiels in beiden Overtimes war wirklich richtig gut. Dies wird uns einen Energieschub für die nächsten Spiele geben.“ – Vincent Kesteloot von den MLP Academics

 

Für die MLP Academics Heidelberg spielten: Eric Washington 23 Punkte (1 Dreier), Vincent Kesteloot 22, Elias Lasisi 18 (4), Tim Coleman 14 (1), Bryan Griffin 9, Akeem Vargas 8 (2), Max Ugrai 6, Bennet Hundt 5 (1), Shy Ely 2, Lukas Herzog (DNP), Felix Edwardsson (DNP).

Medi Bayreuth: Brandon Childress 37 (8), Ignas Sargiunas 24 (4), Jackson Rowe 14 (1), Osaro Rich 9 (1), Ahmed Hill 6 (1), Kay Bruhnke 3 (1), Bastian Doreth 3 (1), Sasha Grant 2, Ktresimir Nikic 2, Kalif Young 1.

 

 

Text: Joachim „Jogi“ Klaehn

MLP Academics Heidelberg

Kommunikation und Medien

Zuschauer:innen: 3783
MLP Academics Heidelberg – Basketball mit Zukunft